Leben in der VUKA-Welt: Unsicher, komplex, mehrdeutig – was bedeutet das für die Resilienz von Unternehmen?

Teil 1 Serie “Resilienz in Unternehmen”

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Spätestens seit dem 11. September 2001 leben wir in der “VUKA-Welt”. So lautet die am US Army War College entwickelte Formel. Eigentlich war sie die Antwort auf den Zusammenbruch der UdSSR Anfang der 1990er Jahre. Populär wurde sie aber erst nach den Terror-Anschlägen von New York und Washington.

Die VUKA-Welt ist bestimmt von:

V= Volatilität bezieht sich auf die zunehmende Häufigkeit, Geschwindigkeit und das Ausmaß von (meist ungeplanten) Veränderungen

U = Unsicherheit bedeutet das generell abnehmende Maß an Vorhersagbarkeit von Ereignissen in unserem privaten und beruflichen Leben

K = Komplexität bezieht sich auf die steigende Anzahl von unterschiedlichen Verknüpfungen und Abhängigkeiten, welche viele Themen in unserem Leben undurchschaubar machen

A = Ambiguität beschreibt die Mehrdeutigkeit der Faktenlage, die falsche Interpretationen und Entscheidungen wahrscheinlicher macht

Update 22. Januar 2016. “Führen in der VUKA-Welt: Navigieren, wenn das Fahrwasser mehrdeutig, komplex und unsicher ist” heißt der praxisorientierte Workshop, den ich vom 26. bis 28. Februar 2016 gebe.

Die VUKA-Welt muss uns keine Angst machen: Sie bietet jede Menge Chancen und wir können handlungsfähig bleiben, wenn wir uns auf Spielräume fokussieren. Wie geht das? Eine Reihe von Methoden und Tools helfen uns, durch die VUKA-Welt zu navigieren und dabei sogar Spaß zu haben. Hier gibt´s die Inhalte vom Workshop.

https://buhl-coaching.de/workshops-supervision/workshop-fuehren-in-der-vuka-welt-navigieren-wenn-das-fahrwasser-mehrdeutig-komplex-und-unsicher-ist/

Vielleicht kennen Sie den spannenden Thriller „Blackout – Morgen ist es zu spät“ von Marc Elsberg. Der Autor beschreibt darin, wie durch einen Hacker-Angriff an einem kalten Februarmorgen in Europa alle Stromnetze zusammenbrechen. Am Beispiel verschiedener Orte und Personen schildert er detailgetreu, wie abhängig wir von moderner Technik sind und welche dramatischen Auswirkungen es auf unser modernes Leben hat, wenn wir plötzlich nicht mehr auf gewohnte Standards zurückgreifen können.

Stellen Sie sich dazu Folgendes vor: Krankenhäuser und Pflegeheime bleiben ohne Strom, Supermärkte ohne Nachschub, Tankstellen liefern kein Benzin, Banken können kein Geld mehr ausgeben, Ihr Handy können Sie nicht mehr aufladen – und so weiter. Wir leben mit einer relativ dünnen zivilisatorischen Schicht, die in solchen Momenten bricht.

Einen solchen „Blackout“ habe ich in milderer Form in der Hochwasser-Katastrophe 2002 in Sachsen erlebt. Nach allem, was wir über unsere Zukunft wissen, müssen wir häufiger mit solchen „Großschadens-Ereignissen“ rechnen und brauchen eine entsprechende Vorbereitung darauf – als Einzelperson, Familie, Unternehmen, soziale Organisation usw.

Wir müssen uns auf ein Leben in der VUKA-Welt besser vorbereiten.

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Im Folgenden beschreibe ich, was Unternehmen oder Selbstständige grundlegend dafür tun können:

Bitte rufen Sie sich noch einmal in Erinnerung: Resilienz ist die Fähigkeit einer Organisation oder Person, Krisen unbeschadet zu überstehen und sogar an ihnen zu wachsen.

Zwei Arten, organisationale Resilienz zu definieren, stelle ich daher kurz vor:

Die neuseeländische Forscherin Sonia McManus kennzeichnet die Resilienz von Organisationen mit

  • Situationsbewusstsein
  • Managen von Hauptvulnerabilitäten
  • Adaptionsfähigkeit

Organisationen, die diese drei Qualitäten leben, sind demnach resilient. Sie können sich an veränderte Situationen rasch anpassen, flexibel auf Unvorhergesehenes reagieren.

Das Situationsbewusstsein umschreibt, wie eine Organisation sich selbst und ihre Umgebung wahrnimmt.

Dazu gehört

  • mögliche Krisen wie Absatzschwierigkeiten und ihre Auswirkungen abzuschätzen
  • Ursachen für Krisen auslösende Faktoren zu finden und zu verstehen
  • Krisen vorausschauend zu explorieren, Hebel zum Gegensteuern zu finden
  • die eigenen Ressourcen zu kennen
  • wissen, welche Hebel angesetzt werden können, um trotz Krisen funktionstüchtig zu bleiben oder es schnell wieder zu werden
  • die Erwartungen der verschiedenen Stakeholder (Eigentümer, Anteilseigner, Lieferanten, Kunden etc.) zu kennen und flexibel darauf einzugehen

Das Managen von Haupt-Vulnerabilitäten kennzeichnet laut McManus den Umgang mit Risiken, bzw. Schwächen, die in Krisen-Situationen einen schwerwiegenden negativen Einfluss auf die Organisation haben können. Wer seine Haupt-Vulnerabilitäten kennt, kann vorbeugen und Notfall-Szenarien dafür entwickeln.

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Hier ein paar Beispiele für Risikoträger:

  • Gebäude, Produktionsanlagen, Rohstoffe
  • Führungskräfte, Entscheider, Schlüsselpersonen, Lieferanten, Kunden
  • Produktionsqualität und Reputation als Hersteller und Arbeitgeber

Die Adaptionsfähigkeit einer Organisation gibt den Spielraum, schnelle und angemessene Entscheidungen zu treffen. Messbar ist sie an den

  • Führungs- und Entscheidungsstrukturen sowie der Qualität von Führung
  • Interne und externe Kommunikation, Wissenstransfer, Informationspolitik
  • Flexibilität und Kreativität von Führung und Mitarbeitern

Prof. Yossi Sheffi (MIT) vertritt einen etwas anderen Ansatz. Er beschreibt in seinem Buch „The Resilient Enterprise“, wie Organisationen ihre Resilienz verbessern können, um sich auf mögliche Krisen vorzubereiten. Ein resilientes Unternehmen ist demnach eines, das flexibel genug ist, um schnell und angemessen zu reagieren, auf mögliche Risiken gut vorbereitet ist.

Sheffi unterscheidet zwischen „Security Investments“ und „Resilience Investments“, die Organisationen brauchen, um resilient zu werden. Bei den „Security Investments“ geht es darum, möglichst gut auf unvorhergesehene Veränderungen und Krisen vorbereitet zu sein.

Sheffi rät:

  • Spezielle Risiken des Unternehmens zu analysieren und sich vorzubereiten
  • Haupt-Vulnerabilitäten zu identifizieren und in ihrer Wirkung zu sortieren
  • Das Auftreten von Störungen zu reduzieren
  • Die Kooperation mit anderen Organisationen zu suchen, bspw. bezüglich der Sicherheit oder just-in-time-Produktion
  • In den Herstellungsprozess Redundanzen einzubauen, wie etwa Produktionskapazitäten oder zusätzliches Personal
  • Die Supply Chains beweglich und flexibel zu gestalten

Zu den Resilience Investments zählt Sheffi

  • Resultatorientierung in Gestalt einer „Mentalität des Machens“
  • gutes Teamwork sowie offene, vertrauensvolle Kommunikation
  • das Bestehen von informellen Netzwerken
  • Leadership auf allen Hierarchiestufen und damit die Übernahme von Verantwortung

Wenn Sie sich Ihre eigene Organisation anschauen, werden Sie merken, dass Sie sich bereits eine gewisse Resilienz erarbeitet hat. Sie haben schon in der Vergangenheit Schwierigkeiten überwunden, existenzgefährdende Probleme gelöst und unvorhergesehene Veränderungen bewältigt.

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Prüfen Sie bitte, ob die vorhandene organisationale Resilienz durch eine schlechte Unternehmensenergie geschwächt wird.

Sie können dies anhand der folgenden vier Punkte tun, die Heike Bruch, Professorin für Führung und Personalmanagement an der Uni St. Gallen, erforscht hat:

  • Resilienzfeld

Jedes Unternehmen verfügt über ein Resilienzfeld – ganz gleich, ob es sich um einen Groß-Konzern oder ein Zwei-Mann-Büro handelt. Wir Menschen leben in Systemen, in einem Netzwerk von Beziehungen – seien es Teams, Nachbarschaften, Familien oder Unternehmen. Hier stehen wir mit jedem in Wechselwirkung und beeinflussen einander gegenseitig. Dieses „Mikroklima“ wirkt auf unsere Resilienz. Das Klima kann unterstützend, konstruktiv, freundlich sein oder von Misstrauen, Konflikten, Ärger und Verunsicherung bestimmt werden. Je nach Qualität des Teams kann sich der Einzelne darin entfalten oder nicht.

Hier ist übrigens der interessante Ansatzpunkt für jeden Einzelnen: Jeder ist für die Kultur im Team mitverantwortlich – das ist nicht „Chef-Sache“. (Probieren Sie doch mal den „Ressourcen-Tratsch“ aus, den ich an anderer Stelle hier im Blog beschrieben habe.)

  • Unternehmensenergie

Heike Bruch hat herausgefunden, dass vor allem drei Punkte Unternehmen massiv Energie abziehen und ihren Bestand gefährden:

Die Beschleunigungsfalle:

Ich stelle das bei einigen Startups fest, mit denen ich gearbeitet habe. Operative Hektik verhindert, dass die „Baustellen“ bearbeitet werden.

Beispiel:

Durch die rasche Einstellung vieler unerfahrener Mitarbeiter gibt es rasch Schwierigkeiten in der Führung, in der Kommunikation und darin, Konflikte zu bearbeiten. Prinzipiell sind sich Geschäftsführung und Personalabteilung zwar darin einig, dass die jungen Führungskräfte unbedingt ein entsprechendes Training brauchen, um die nötigen Führungskompetenzen zu erwerben. Aber im laufenden Betrieb wird das Vorhaben immer wieder verschoben. Das ist ungefähr so, als wenn jemand mit einer stumpfen Säge einen Wald abholzen will. Überdies werden die Kräfte der überforderten Mitarbeiter dauerhaft erschöpft – was wiederum eine entsprechende Fluktuation nach sich zieht. Trotz guter Stimmung und starkem Engagement der Einzelnen fehlt das Gespür für Grenzen und Belastbarkeit. Beschleunigter Aktionismus hat zur Folge, dass die Arbeitsergebnisse schlechter werden, die Kraft für Innovation schwindet und die anfängliche Flexibilität geringer wird.

Unternehmenskorrosion: durch fortdauernde Restrukturierung und Personalabbau, ohne dass die Belegschaft zwischendurch wieder zur Ruhe käme und in einer Konsolidierungsphase an ihren Hauptaufgaben gut weiterarbeiten könnte. Frustration und zum Teil sogar Zynismus und versteckter Widerstand sorgen für ein schlechtes Betriebsklima und zunehmende Veränderungsmüdigkeit. Häufig wird auf das schlechte Vorbild „von oben“ verwiesen und damit der Mangel an eigener Loyalität und Veränderungsbereitschaft begründet. Die Identifikation mit dem Unternehmen und das Engagement werden heruntergefahren – viele Mitarbeiter haben innerlich gekündigt und machen nur noch Dienst nach Vorschrift.

Resignative Lähmung: Das erlebe ich vor allem bei erfolgsverwöhnten Unternehmen, beispielsweise in der Energieversorgung, bei Banken und Versicherungen sowie in der Telekommunikation. Sie haben zum Teil über Jahrzehnte von einem stabilen Marktumfeld profitiert und mussten sich kaum an vorhandene Wettbewerber anpassen. Infolgedessen fehlt oft die Kompetenz, neue Produkte zu entwickeln und innovativ zu werden. An starre Regularien und feste Besitzstrukturen gewohnt, fällt es ihnen schwer, Veränderungen zu erzeugen. Sie stoßen in der Belegschaft in aller Regel auf massive Widerstände und die weit verbreitete Meinung „bei uns ändert sich sowieso nichts und wenn doch, wird es nur schlimmer.“ Parallel dazu sind viele Mitarbeiter chronisch unterfordert und an Mittelmaß gewohnt. Viele empfinden ihre Arbeit als sinnlos und unwichtig, hier darf man von weit verbreitetem „Bore-out“ sprechen.

  • dysfunktionale Führung

Führungskräfte sind Vorbilder. Gerade im mittleren Management sind sie aber meist selbst Dynamiken ausgesetzt, die sie nur schwer beeinflussen können. Viele Führungskräfte auf der mittleren Ebene sind frustriert, weil sie wenig Kompetenz für Entscheidungen und Veränderungen haben. Es rächt sich, dass sie meist nur unzureichend auf ihre Aufgaben vorbereitet sind, zugleich aber Veränderungsprozesse steuern müssen, die ihnen alles abverlangen. In der Regel scheitern sie vor allem daran, dass sie andere Menschen und Teams nicht entwickeln können, Zusammenarbeit schlecht organisieren und wenig motivieren. Sie werden weniger durch fachliche Defizite ausgebremst, sondern vor allem durch soziale.

  • schlechtes Klima

Die Zusammensetzung von Teams mit ihren unterschiedlichen Charakteren und Erwartungen ist eine große Herausforderung für jede Führungskraft. Das richtige Maß an Wertschätzung und Toleranz, Unterstützung und Förderung entscheidet darüber, ob ein Unternehmen ein förderliches Resilienzfeld entwickelt oder nicht. Studien zeigen, dass sich ein gutes Drittel aller Mitarbeiter nicht von ihren Kollegen unterstützt fühlt.

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Wenn Sie die Resilienz in Ihrem Unternehmen steigern wollen, sehen Sie sich (mindestens) vier Herausforderungen gegenüber, die der amerikanische Ökonom und Unternehmensberater Gary Hamel wie folgt charakterisiert:

Kognitiv: Sie müssen zuerst die bestehende Realität und den damit verbundenen Veränderungsdruck akzeptieren.

Strategisch: Sie müssen Alternativen für bestehende Vulnerabilitäten finden und brauchen verschiedene kleinere Experimente, um entsprechende Lösungen schaffen zu können. Mitarbeiter brauchen dafür Ressourcen und die Erlaubnis, Fehler machen zu dürfen.

Politisch: Wenn Sie in einem großen Unternehmen arbeiten, brauchen Sie Unterstützer, um Ihren Resilienz-Plan zu verfolgen. Sie werden von bestehenden Produkten oder Programmen Ressourcen wie Personal und Geld abziehen müssen, um Neues entwickeln zu können.

Ideologisch: Nicht zuletzt werden Sie mit einer Menge Gegenwind rechnen müssen. Sie und Ihre Mitarbeiter müssen im Spannungsfeld von Optimierung des Bestehenden und Innovation handlungsfähig bleiben.

Das kann nur dann klappen, wenn Sie es schaffen, überzeugend den Sinn von Resilienz-Förderung für den einzelnen Mitarbeiter und für Ihr Unternehmen darzustellen.

Folgende „Hausaufgabe“ können Sie sich für´s Erste vornehmen:

  • Wie sieht mein Resilienzfeld aus? Wie sieht das Resilienzfeld meines Unternehmens aus?
  • Welche Unternehmensenergie nehme ich wahr? Sitzen Sie in der Beschleunigungsfalle? Korrodiert Ihr Unternehmen von innen heraus? Oder spüren Sie eine resignative Lähmung?
  • Wie sieht meine persönliche Führung aus? Wie sieht Führung bei uns im Unternehmen aus?
  • Wie schätze ich das Team-Klima/ Betriebslima ein?
  • Für Selbstständige: Wie sehen meine Beziehungen zu Kunden und Kooperationspartnern aus?

Dieser Artikel basiert auf einem Vortrag zum digitalen Donnerstag im Coworking-Space Radolfzell am Bodensee am 28. Mai. Zudem ist er Teil 1 einer Serie über „Resilienz in Unternehmen“, die ich in den nächsten Monaten fort führe. Beim EnjoyWorkCamp in Stuttgart am 6. und 7. November 2015 halte ich dazu eine Session.

Ein Praxis-Beispiel dazu finden Sie in diesem Artikel “Erst muss der Unternehmer fit sein, dann geht es an die Veränderung der Firma”

https://buhl-coaching.de/author/2015/08/01/resilienz-fuer-kmu-erst-muss-der-unternehmer-fit-sein-dann-geht-es-an-die-veraenderung-der-firma/

Update 28. Oktober 2015. Mich freut besonders, dass die renommierte OrganisationsEntwicklung – Zeitschrift für Unternehmensentwicklung und Change Management der VUKA-Welt ein ganzes Heft 4/15 gewidmet hat. Scheinbar hatte ich vor fünf Monaten den richtigen Riecher hier im Blog 😉

Update 30. Dezember 2015. Blogger Jay F Kay hat in einem stundenlangen Stromausfall an Weihnachten die Herausforderungen der VUKA-Welt live erlebt. Nach unserer Diskussion beim digitalen Donnerstag las er den Thriller “Blackout” von Marc Elsberg. Jetzt hat Jay F Kay über seine Erlebnisse beim Stromausfall, “Blackout” und eigene Vorsorge für Notfälle lesenswert gebloggt. Den Artikel finden Sie hier:

http://hoomygumb.com/2015/12/29/das-stromlose-weihnachtsabenteuer-in-tuttlingen/

Die VUKA-Welt muss uns keine Angst machen: Sie bietet jede Menge Chancen und wir können handlungsfähig bleiben, wenn wir uns auf Spielräume fokussieren. Wie geht das? Eine Reihe von Methoden und Tools helfen uns, durch die VUKA-Welt zu navigieren und dabei sogar Spaß zu haben. Fundierte Inhalte und Übungen dazu gibt´s in meinen Workshops.

Petra-Alexandra Buhl

Ein Gedanke zu „Leben in der VUKA-Welt: Unsicher, komplex, mehrdeutig – was bedeutet das für die Resilienz von Unternehmen?

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