Marcus Klug – was ist digitale Kultur? Worin besteht sie? Wer definiert, was dazu gehört?
Für mich besteht digitale Kultur vor allem in den Dialogformen und Gestaltungsmöglichkeiten der sozialen Medien. Jeder kann ein Sender sein! Das Monopol von Journalisten, Experten und Beratern ist somit gebrochen. Das geht soweit, dass wir im Internet mit wirklich guten Ideen, Talent und ausreichend Ausdauervermögen und Ehrgeiz ein Millionenpublikum erreichen können. „Simon´s Cat“ wäre so ein wunderbares Beispiel dazu (http://simonscat.com/blog/category/simonscat/). Der britische Illustrator Simon Tofield erreicht mit seinen liebevoll animierten Videos jede Woche Millionen von Katzenliebhabern weltweit, die sich über die Episoden aus dem Leben einer frechen Hauskatze amüsieren. Derartige Partizipationsmöglichkeiten wurden zwar schon sehr viel früher angedacht – etwa von Bertolt Brecht in seiner Radiotheorie zu Beginn des 20. Jahrhunderts – aber erst heute verfügen wir praktisch über die Mittel dazu, mit relativ wenig Aufwand über das Internet Distanzen in sehr kurzer Zeit zu überbrücken.
Welche Chancen liegen in einer digitalen Kultur? Und welche Risiken?
Die Chancen der Digitalisierung liegen in der Gestaltung und Kommunikation von Medien, in der Automatisierung und Quantifizierung. Zugleich sind diese Chancen auch: Es kommt auf die innere Einstellung an, wie wir mental gegenüber größeren Veränderungen eingestellt sind, die durch die digitale Revolution in Bildung, Arbeit und Gesundheit ausgelöst werden. Wer täglich mehr als vier Stunden auf seinem Smartphone kommuniziert und permanent zwischen verschiedenen Apps wechselt, verschenkt sein Potenzial, da Aufmerksamkeit und Konzentration darunter leiden. Nur sehr wenige Menschen in der Lage, sehr schnell in hochkonzentrierter Form zwischen Aufgaben zu wechseln und Entscheidungen zu treffen. In der Wissenschaft sprechen wir von so genannten „Supertaskern“ – wie z. Bsp. Fluglotsen.
Dann wäre da noch der aktuelle Diskurs um die Gefahren der Automatisierung im Digitalen, was den Verlust von Arbeit anbelangt: Viele Jobs würden in Zukunft wegfallen, auch teilweise akademische Berufe eine gewisse Einschränkung erfahren, etwa der Journalismus im Verfassen von News oder das mittlere Management in der Administration, so die Argumentation. Ich sehe aber eine Chance in der Automatisierung, Automatisierung kann mehr Freiheit bedeuten!
Viele Blogger nennen „Die 4-Stunden Woche“ von Timothy Ferriss als Inspirationsquelle. Outsourcing, Delegation und die Regelung des alltäglichen Informationsflusses sind Hilfsmittel, die geschickt eingesetzt werden können, um möglichst schnell Zeiträume für den Entwurf eines alternativen Lebensentwurfes zu schaffen, so die Grundidee von Ferriss. Ein Beispiel für Menschen, die von Ferriss inspiriert worden sind, ist die Reisebloggerin Conni Biesalski, die sich als „Digitale Zen Nomadin“ bezeichnet (Link: http://www.connibiesalski.com/). Ihr Büro ist ihr Rucksack, sie ist weltweit insbesondere als Reisebloggerin unterwegs, hat vorher als Festangestellte in einer PR-Agentur gearbeitet und sich peu à peu ihren Traum von einem alternativen Leben erfüllt.
Wie/ wodurch gelingt es uns, mit dem von Alvin Toffler beschriebenen „Zukunftsschock” umzugehen?
1970 hat der Zukunftsforscher Alvin Toffler sein wegweisendes Buch „Der Zukunftsschock“ geschrieben. Grundfrage war: Wie verändert sich die Wahrnehmung durch Beschleunigung und Überfütterung mit Informationen innerhalb unserer Kultur? Toffler nutze damals schon für diese Analyse den Begriff „Information Overload“. Heute ist diese Frage aktueller denn je: Wie können wir lernen, souveräner und achtsamer mit diesen Technologien umzugehen? Weniger ist eben auch im Digitalen mehr. So macht es Sinn, sich regelmäßig Auszeiten vom Digitalen zu gönnen, wenn wir ansonsten berufsbedingt viel mit digitalen Informationen zu tun haben: etwa als Social Media-Manager oder als Online-Redakteur.
Glauben Sie, wir brauchen für den digitalen Wandel neue Fähigkeiten? Was wir wirklich mehr lernen sollten, ist selbstständiges und positives Denken. Es kommen viele grundlegende Umwälzungen in Zukunft auf uns zu, was den Einfluss der Digitalisierung auf unsere Kultur anbelangt. So neigt sich beispielsweise die Ära der Vollzeitbeschäftigung allmählich dem Ende zu, in vielen Bereichen wird mehr und mehr automatisiert. Auf der anderen Seite rücken vielfach die kognitiven Fähigkeiten der Menschen in der modernen zunehmend mehr digitalisierten Arbeitswelt von heute in den Mittelpunkt. Ich spreche in diesem Zusammenhang vom „hyperkognitiven Zeitalter“: Der Erhalt der mentalen Gesundheit und die Psychohygiene sind zwei sehr wichtige Aspekte in diesem Zusammenhang. Die Pflege der eigenen Psyche wird in Zukunft in etwa so wichtig sein wie das Zähneputzen am Morgen!
Ein weiteres wichtiges Thema ist die Kritik am Wachstumsbegriff der Wirtschaft. Digitalisierung kann auf der einen Seite wie eine Art von postindustrieller Revolution auf Speed betrachtet werden, gewissermaßen als zukünftiges Horrorszenario, oder als Bewusstmachungsprozess: So kann es einfach nicht mehr weiter gehen! Wenn wir eine globale Katastrophe verhindern wollen, müssen wir irgendetwas Radikales tun. Vorboten zu dieser Art von ökologischer Bewusstmachung im Digitalen sind die Bewegung des „Digitalen Minimalismus“ oder die Idee der „Postwachstumsgesellschaft“. Es geht dabei auch um mehr Einschränkung, um weniger Konsum, um unsere gemeinsame Zukunft. Eine Postwachstumsgesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass keine allgemeine Politik der Wachstumsförderung stattfindet, wachstumsabhängige Systeme und Institutionen umgebaut werden, die Umwelt nur gemäß den Nachhaltigkeitszielen genutzt wird.
Welche besonderen Qualitäten hat das Analoge, die wir unbedingt erhalten sollten? Wie können wir das tun?
Ich finde das ja immer lustig, wenn mir ganz schlaue Leute erzählen wollen, dass wir uns schon sehr bald nur noch im digitalen Raum bewegen werden. Was dabei unterschlagen wird, ist die Tatsache, dass Menschen haptische Wesen sind. Nehmen wir das Lernen als Beispiel und die Metapher des „Durchknetens“. Hirnforscher wissen: Lerninhalte können sich nur im Langzeitgedächtnis verankern, wenn der Arbeitsspeicher nicht ständig mit unwichtigen digitalen Infohäppchen zugemüllt wird. Folglich geht es beim Lernen gerade auch um Haptik und die analoge Qualität. Wirklich stutzig gemacht hat mich in diesem Zusammenhang folgender Befund von Andre Wilkens aus seinem Buch „Analog ist das neue Bio“ (2015): „Im Silicon Valley boomen die Waldorfschulen. Die Kinder der digitalen Elite lernen dort ohne Bildschirme, aber mit viel physischer und menschlicher Interaktion, handwerkliches Arbeiten, durch Basteln.“ Selbst bei Steve Jobs waren die iPods zu Hause verboten.
Wie/ wodurch können wir uns selbst und andere zum Lernen ermutigen, damit Veränderungen gelingen?
Ich bin ein extrem neugieriger und wissbegieriger Mensch, was die Aufnahme und das Verarbeiten von neuen kulturellen Impulsen anbelangt. Aber genau diese Offenheit kann auch ein Problem beinhalten: Nämlich die fehlende kognitive Beschränkung. Im Jahr 2010 bin ich durch diese fehlende Beschränkung in eine größere persönliche Krise hineinmanövriert. Eigentlich wollte ich in dieser Lebensphase eine Dissertation abschließen, habe aber nicht bemerkt, dass es gar nicht möglich war, mit dieser Arbeit tatsächlich abzuschließen. Ich befand mich in einer nicht abschließbaren Schleife, ohne dies zunächst zu bemerken. Ich konnte nicht mehr schreiben, nicht mehr lesen, nicht mehr richtig denken. Irgendwann habe ich losgelassen: Schluss damit!
Ich habe sehr viel aus dieser Lebensphase gelernt, auch über falschen Perfektionismus und dem Umgang mit Fehlern. Nur wenn wir uns Fehler eingestehen und daraus lernen, können wir wirklich wachsen. Nachdem ich meine persönliche Krise im Jahr 2010 überstanden hatte, habe ich mich intensiv mit solchen Themen auseinandergesetzt, die mit Selbstmanagement, Resilienz und Prävention zusammenhängen und mit solchen Meditations- und Entspannungstechniken experimentiert, die rasant entspannt machen. Ganz besonders habe ich in dieser Zeit von folgender Selbstmanagement-Strategie profitiert: „Getting Things Done“ (GTD) von David Allen.
Beschreiben Sie bitte, mit welchen Medien Sie aufgewachsen sind und was das für Sie bedeutet. Wie hat sich Ihr persönliches Leben durch die Digitalisierung verändert?
Hörspiele, Comics, Filme und Musik – das waren die Medien meiner Kindheit und Jugendzeit, wobei ich immer auch den Drang verspürt habe, selber Medien zu gestalten. Als Kind habe ich relativ viel gezeichnet. Über lange Zeit habe ich das Zeichnen jedoch vernachlässigt. Erst in den letzten paar Jahren habe ich wieder regelmäßiger gezeichnet und lasse diese Zeichnungen in meine Vorträge mit einfließen. Dabei beziehe ich mich häufig auf einzelne herausragende Fotos aus den sozialen Medien – etwa Fotos von Flickr – oder denke an einzelne Sequenzen aus einem Film. Solche Szenen verfremde ich in meinen Zeichnungen – je nach Thema. So habe ich etwa in einem meiner letzten Impulsvorträge mit dem Titel „Das zerstreute Ich“ eine Zeichnung mit einer jungen Frau auf einem Pferd integriert. Das Besondere daran: Obwohl die Frau auf einem Pferd sitzt, vergisst sie das Reiten, da sie so intensiv mit ihrem Smartphone beschäftigt ist: Gegenwartsvergessenheit.
Ich arbeite bei meinen Vorträgen gerne mit absurden Alltagsszenarien, die zum Nachdenken und Schmunzeln anregen. Was Filme anbelangt, so habe ich wohl in meinem Leben schon eine ganze Menge Filme gesehen. Vor allem Science Fiction, Trickfilm, Thriller und Suspense. Und dann wären da noch Hörspiele: Noch heute denke ich immer wieder an zwei wirklich herausragende Hörspiele zurück, die ich so oft gehört habe und die mich so ungemein inspiriert haben: „Momo“ und „Die Unendliche Geschichte“ von Michael Ende. All diese Erfahrungen kann ich heute in meinen beiden Berufen digital ausleben. Dazu nutze ich soziale Medien wie Blogs, Web-Videos, E-Books und Hörspiele.
Marcus Klug betreibt mit Michael Lindner den Blog „Digitalistbesser.org. Plattform für Veränderung und lebenslanges Lernen“. Marcus Klug ist Redner, Blogger und Autor. Er beschäftigt sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf Arbeit, Wissen, Lernen und Selbstmanagement. Daneben arbeitet er als Online-Redakteur und Entwickler von digitalen Wissensformaten für das Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) an der Universität Witten/Herdecke.
Herzlichen Dank Marcus Klug für das Gespräch und die Erlaubnis, Foto und Zeichnungen zu verwenden.
Petra-Alexandra Buhl