Filmkritik AugenhöheWege weiß: Frisst die „Revolution in der Arbeitswelt“ ihre Kinder?

Was ich an der AugenhöheWege „Version weiß“ schätze:

„Ich bin nicht mehr kompatibel zu einem hierarchisch organisierten Laden – oder nur kurz“, sagt Florian Pommerin-Becht. So fasst der Therapeut seine Erfahrungen im Veränderungsprozess sysTELIOS Gesundheitszentrum Siedelsbrunn zu Beginn der „Version weiß“ zusammen.

Ausgehend von der Erfahrung, dass nicht alle Entscheidungen im großen Team getroffen werden müssen, haben die Mitarbeiter bei sysTELIOS eine OSO-Gruppe gebildet, die für die „Organisation der Selbstorganisation“ zuständig ist. Hier werden Entscheidungen vorbereitet und sortiert, welche gelingenden und welche schwierigen Muster es im Unternehmen gibt. Die OSO-Gruppe ist ein offenes Format, an dem jeder teilnehmen kann.

Trotzdem ist die Selbstorganisation eine Gratwanderung: Irritationen gibt es immer dann, wenn sich horizontale und vertikale Prozesse kreuzen. Das heißt, es gibt Mitarbeiter-Vorschläge, doch die Geschäftsführung nimmt plötzlich eine „Setzung“ vor und entscheidet, dass etwas so oder so gemacht werden muss. Dann werden aus Rückkopplungs-Schleifen Konflikte.

Top-Down-Entscheidungen sind für manche Mitarbeiter besser auszuhalten, weil sie dann weniger Verantwortung übernehmen müssen. Hingegen „ist Selbstorganisation permanente Selbsterfahrung und Selbstreflexion. Selbstorganisationsprozesse fordern viele Menschen über Jahre“, sagt der Ärztliche Direktor. Ob das auch in einem Bereich funktionieren kann, in dem weniger Therapeuten arbeiten, die Selbsterfahrung gewohnt sind und sich wünschen? Für manche Mitarbeiter wird dieser Anspruch zu hoch und zu anstrengend sein, sie werden das Unternehmen verlassen.

Ratlos macht mich das Beispiel EnBW Karlsruhe und das „1492-Projekt“: Es scheint als eine Art internes Start up-Labor für Innovationen zu fungieren. Hier wird versucht, eine neue Straßen-Laterne zu entwickeln. Weil das für einen Energie-Riesen aus der Deutschland-AG schon ziemlich „revolutionär“ ist, gibt es dafür viele Vorschuss-Lorbeeren der Leiter. Sie beteuern, „die Mitarbeiter zeigen hier Kompetenzen, die sie sonst im Konzern nicht einbringen können. Positionen haben zu keiner Zeit eine Rolle gespielt.“

Ich bin da skeptisch. Immerhin scheint es funktioniert zu haben, zwischen dem Projekt und dem Konzern Grenzen zu ziehen und in die Diskussion zu kommen: „Wir sollen mit Konzern-Mitteln versuchen, eine Idee umzusetzen? Wir wollen hier etwas runter rocken und nicht in den vorhandenen Strukturen bleiben“, sagt eine Mitarbeiterin. Es zeigt sich, wie viel Mut es in einer Hierarchie braucht, sich gegen herkömmliche Strukturen, Vorgehens- und Kommunikationsweisen durchzusetzen.

Das Innovations-Projekt ist hier vor allem Chef-Sache. Eine Führungskraft wünscht sich, dass sich die Mitarbeiter mehr einbringen, die Ideen von „1492“ adaptieren und in die breite Masse hineintragen. Ich habe bei erfolgsverwöhnten Energie-Konzernen viel resignative Lähmung in der Belegschaft erlebt. Wer jahrzehntelang mit einem stabilen Marktumfeld verwöhnt wurde und sich kaum an Wettbewerber anpassen musste, hat kaum Veränderungskompetenz. Jahrzehntelang in festen Strukturen und starren Regularien, stößt jede Veränderungsinitiative auf massive Widerstände. Wie soll jemand eine Innovations-Bewegung inspirieren, der sich an dieses System perfekt angepasst und darin Karriere gemacht hat?

Herzerfrischend ist dagegen das junge Team von elbdudler Hamburg und das freimütige Bekenntnis: „Wir haben halt nie Management-Literatur gelesen und das macht wahrscheinlich einen Teil unseres Erfolges aus.“ Gründer und Geschäftsführer Julian Vester warnt auch gleich davor, erfolgreiche Beispiele zu kopieren. „Es ist das Dümmste, Anleitungen und Rezepte zu suchen, das funktioniert nicht. In anderen Organisationen würde das, was wir machen, nicht funktionieren. Ja, wir haben eine agile, offene Struktur, aber in der stellen wir uns immer wieder in Frage.“

Der Wille zur Veränderung und das Vertrauen in die Mitarbeiter sei zentral. Auch dann sei es immer noch sehr anstrengend und eine Herausforderung für das eigene Werte-System, Verantwortung zu übernehmen und tatsächlich etwas zu verändern. Der Grund: „Wir haben gelernt, Dinge zu tun oder zu lassen, die von uns erwartet werden. Da wurde uns jegliche Kompetenz, Entscheidungen selber zu treffen, abgenommen. Das Heft selber in die Hand zu nehmen, wurde uns in Schule und Uni abtrainiert.“

Kommen wir nun zu Saint Gobain Plastics Rencol in Bristol, UK: Respekt für Alexander Maier, den Geschäftsführer. Selten habe ich eine Führungskraft so schonungslos selbstkritisch über die eigene Entwicklung reden hören. Dass er früher „ein Arschloch“ gewesen sei, gibt er zu Beginn freimütig zu. Und: „Keiner von uns sehnt sich danach zurück, wie wir früher gearbeitet haben. Wenn man nichts anderes kennt, hält man das für erfolgreich“ – inklusive Schlaf-Störungen und Angst-Zustände.

Ähnlich offenherzig wie Alexander Maier sind seine Mitarbeiter. Sie beschreiben ihr früheres Arbeits-Umfeld drastisch:

„Mein erstes Management-Meeting war ein großer Schock. Ich kam in eine Umgebung voller Angst und Attacken.“

„Die Leute kamen auf den Parkplatz und drehten einfach wieder um, weil sie einfach nicht mehr hineingehen konnten.“

„Power Point war das Einzige, was zählte.“

„Es ging alleine darum, die Produktionskennzahlen zu erreichen, es ging niemals um den Menschen.“

Es hat scheinbar eine kleine Revolte der Mitarbeiter gebraucht, um Alexander Maier dahin zu bringen, wo er heute ist. Seine Mitarbeiter halten nicht damit hinterm Berg, wie schwierig das gewesen ist. Allerdings gab es Aha-Momente, welche die Leute bei der Stange hielten: „Ich habe mit ranghohen Managern in einer Art und Weise gesprochen wie nie zuvor und sie haben mir zugehört!“, sagt ein Mitarbeiter. Der Respekt füreinander sei immens gewachsen, seit die Verantwortung für die meisten Entscheidungen bei den Mitarbeitern liegt.

Es ist spannend, wie die Führungskräfte bei Saint Gobain über ihre künftige Rolle sprechen:

„Ich weiß genau, wie schwierig und herausfordernd es für uns wird, zu führen. Ich habe Angst , dass ich nicht gut genug dafür bin. Ich weiß, dass ich gut genug bin, um in Hierarchien zu arbeiten. Ich habe viele Qualifikationen und Erfahrungen im Automobil-Bereich. Vielleicht werde ich aber trotzdem keinen Platz mehr haben in der neuen Organisation, die ich mir wünsche. Werde ich noch etwas bekommen?“

„Die Veränderung berührt mein Selbstwert-Gefühl. Was bleibt von mir, wenn mein Titel weg ist? Ich meine, du warst im alten System erfolgreich und hast es benutzt. Kann ich jetzt noch mein Gehalt und meine Bezüge rechtfertigen?“

Nicht viele Führungskräfte arbeiten so illusionslos daran, sich selbst abzuschaffen. Ob die angekündigte „Revolution in der Arbeitswelt“ dereinst ihre eigenen Kinder fressen wird?

Das letzte Beispiel in der „Version weiß“ zeigt für mich noch einmal die Schwäche der Augenhöhe-Filme: Es werden Äußerungen aneinandergereiht, die keine stringente Erzählung ergeben. Das Beispiel der LINDIG Fördertechnik aus Krauthausen wäre sicher sehr interessant. Immerhin ist das Unternehmen trotz eines umfassenden Werkstatt-Umbaus und der Veränderung von Strukturen und Abläufen von 160 auf 280 Mitarbeiter gewachsen – innerhalb von fünf Jahren. Es ist gewiss nicht einfach, Produktionsmitarbeiter auf diesen neuen Kurs einzuschwören, doch hier scheint es geklappt zu haben.

Das Besondere geht jedoch unter in zum Teil banalen Äußerungen, die man auch hätte einfach weg lassen können – zugunsten echter Kern-Aussagen oder einer präzisen Schilderung dessen, worauf es den Filme-Machern eigentlich ankommt. Auch nach drei Filmen ist mir nicht klar, was sie konkret unter „Augenhöhe“ verstehen. Schade eigentlich.

Was mich an beiden AugenhöheWege-Filmen stört:

Es hätte sich gelohnt, eine kurze, prägnante Einführung zu den AugenhöheWegen sowie zu den jeweiligen Unternehmen zu geben. Wie im ersten Augenhöhe-Film kommen die Macher wenig auf den Punkt und gestatten sich und ihrem Publikum keine Nachfragen oder ein Einhaken bei spannenden Aussagen. Deshalb bleiben die Inhalte sehr gefällig und oft konturlos.

Eine stringente Erzählung fehlt mir auch in diesen beiden Filmen. Dass der rote Faden fehlt, macht es „Einsteigern“ schwer, in das Thema neue Arbeitswelt hinein zu kommen und „verschenkt“ mögliche Wirkungen der Filme. Viele Themen, die darin diskutiert werden, liegen in der Luft und werden von vielen Menschen geradezu aufgesogen.

Spannend wäre gewesen, bestimmte Knackpunkte näher anzuschauen: Beispielsweise in der „Version orange“ der Vorwurf der Mitarbeiter an Haufe umantis, man leide unter dem „Management der Angst“. Dies kommt in Veränderungsprozessen häufig vor und es wäre spannend, zu hören, wie Haufe umantis damit umgeht.

Auch das Ende von „Version orange“ – als die Kamera nach dem Achtsamkeits-Seminar auf die Mitarbeiter der Sparda-Bank schwenkt – gibt mir das Gefühl, hier wurde zu früh abgedreht. Da hätte ich gerne einen O-Ton von den Mitarbeitern zu ihren Erlebnissen und ihrer Einschätzung gehabt.

Das Vermarktungs-Konzept ist mir nicht klar. Es gibt ein Crowdfunding, Premieren mit teils stolzen Ticket-Preisen – und trotzdem steht der Film am Tag nach den Premieren im Netz. Es gibt auch wieder Nutzer-Lizenzen für den Film. Irritierend finde ich, dass einige Geldgeber zugleich als Beispiele für die neue Arbeitswelt vorgestellt werden. Ist hier die Grenze zur PR klar gezogen?

Den ersten Augenhöhe-Film 2015 schloss der Ex-Telekom-Personalvorstand Thomas Sattelberger mit dem Satz: „Der Film ist 5% – der Appetizer. Die andern 95% ist harte Veränderungsarbeit.“ AugenhöheWege macht Appetit, also wieder ran an die praktische Arbeit 😉

Über die „Version orange“ habe ich hier geschrieben:

http://Filmkritik AugenhöheWege weiß: Frisst die „Revolution in der Arbeitswelt“ ihre Kinder?

Petra-Alexandra Buhl

Beide Versionen des AugenhöheWege-Filmes gibt es hier zu sehen:

http://augenhoehe-wege.de/

Eine umfangreiche Stichwort-Sammlung zu AugenhöheWege hat Thomas Wagner @tomww nach der Diskussion auf der Premiere in Frankfurt/ Main erstellt:

https://etherpad.in-ulm.de/p/Augenhoehe-Stichwortsammlung

Hier gibt es Fotos der Diskussions-Boards von der Film-Premiere in Frankfurt/ Main, ebenfalls von Thomas Wagner @tomww:

https://www.flickr.com/photos/tomww/shares/G2A0z6

Eine weitere Filmkritik hat Lydia Krüger @Büronymus geschrieben:

https://bueronymus.wordpress.com/2016/03/05/filmkritik-augenhoehe-die-zweite/

Hier ist die Entstehungsgeschichte von „AugenhöheWege“ Film und Dialog zu lesen:

http://www.startplatz.de/augenhoehewege-film-und-dialog/

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