Manchmal frage ich mich, wohin die Phantasie und der Mut im Arbeitsleben verschwunden sind. Viele Menschen klagen über steigende Zumutungen an ihrem Arbeitsplatz:
- Entfremdung und Sinnverlust
- schlechte Arbeitsbedingungen (zu viel, zu lange, zu unflexibel)
- lähmende Arbeitsinhalte (langweilig, altmodisch, eintönig)
- steigender Kostendruck
- zu viel Kontrolle und Misstrauen usw.
Schlimmer geht immer
Für viele geht das schon seit Jahren so. Sie leben in der Hoffnung auf bessere Zeiten und machen immer mehr Überstunden. Ihr innerer Monolog lautet wohl: „Ich muss durchhalten, bis der neue Etat genehmigt ist. Mindestens aber bis die neue Mitarbeiterin in zwei Monaten kommt. Dann wird´s besser – endlich! Bis dahin halte ich es noch aus.“
Wissen Sie was? Das können Sie vergessen. Ich habe das selbst zehn Jahre lang in einem Unternehmen gehört. Und soll ich Ihnen etwas verraten? Es wurde nicht besser. Im Gegenteil: Schlimmer geht immer! Versprechungen, Vertröstungen, Durchhalte-Parolen sind Schall und Rauch.
Widerstand als „small acts of living“
Die meisten Menschen reagieren darauf so: Ohnmacht, stiller Boykott, innere Kündigung, Hoffnungslosigkeit, tiefgreifende Berufskrisen, Fatalismus und Existenzängste. Das ist eine fatale Mischung. Jeder Mensch hat etwas Besseres verdient als das. Berechtigte Wut lässt sich prima in Widerstand umwandeln.
Der kanadische Soziologe Erving Goffman hat Widerstand als „small acts of living“ bezeichnet. Sie leben doch noch, oder? 😉 Ein kleiner Akt von Widerstand ist, die Arbeit selbst zu gestalten und Verantwortung für den eigenen Arbeitsplatz zu übernehmen. Eine einfache SWOT-Analyse kann Sie dabei unterstützen: Welche Stärken und Schwächen, welche Chancen und Risiken hat Ihr derzeitiger Arbeitsplatz?
Bei den Schwächen und Risiken finden Sie den Stoff für Veränderungen. Personen gegenüber lassen Sie es natürlich nicht an Wertschätzung fehlen. In der Sache empfiehlt sich jedoch absolute Respektlosigkeit – zum Beispiel für Abläufe, Aufgaben, Regelungen, Vorschriften, Anweisungen usw. Denken Sie sich nach Herzenslust unbequeme Fragen aus:
- Muss ich das wirklich so machen und warum? Wem nutzt es?
- Gesetzt den Fall, diese Vorgehensweise ist nicht richtig – obwohl wir das „schon immer“ so machen – was machen wir dann jetzt anders?
- Mal angenommen, es gibt andere Wege – welche wären das?
„Fest verankerte Konventionen verführen zu reflexartigem Gehorsam, veranlassen uns, Obrigkeiten nicht in Frage zu stellen, verleiten uns zur Hingabe an vorgegebene Programmierungen, zu Gruppendenken und machen uns schließlich unfähig, selbst zu denken und selbstbestimmt zu handeln.“ Aus: Wider den Gehorsam, Arno Gruen
Ungehorsam versetzt Sie in die Lage, eine neue Strategie für Ihren Beruf zu entwickeln. Dabei können Sie folgende Punkte berücksichtigen:
1. Stützende Rahmenbedingungen (wieder-) herstellen. Das bedeutet ein internes Netzwerk zu knüpfen, mit anderen Kollegen zusammenzuarbeiten, sich über bestimmte Punkte auszutauschen und gemeinsam vorzugehen. Eine Gruppe ist stets stärker als jede Führung und setzt sich durch.
2. Schädigende Dynamiken gezielt unterbrechen. Zum Beispiel können Sie Pausen und das Arbeitsende bewusst einhalten. Hektische Kollegen kann man schon dadurch runterfahren, dass man sich in ihrer Gegenwart nicht anstecken lässt von ihrer rastlosen Aufgeregtheit. Wenn gar nichts hilft: Sie haben das seit 2013 gesetzlich verbriefte Recht, eine Überlastungsanzeige bei Ihrem Arbeitgeber zu stellen.
3. Rückendeckung von Führungskräften und Kollegen einfordern.
4. Eigene Interessen vertreten. Wenn die Arbeitsbedingungen in Ihrem Unternehmen wirklich so unerträglich sind, werden Sie Kollegen finden, die Sie darin unterstützen und sich gemeinsam mit Ihnen organisieren. Solidarität hilft, die Bedingungen für alle zu verbessern und die Unternehmenskultur zu verändern.
5. Welche Strategien waren bisher erfolgreich, um unliebsame Entscheidungen oder unsinnige Vorgaben abzuwenden? Sie müssen das Rad nicht neu erfinden. Wer länger als drei Jahre arbeitet, hat bereits einen Köcher voller Vermeidungs- und Verwandlungsstrategien. Nutzen Sie diese.
6. Machen Sie Vorschläge dazu, wie Sie Ihre Arbeitsorganisation zum Wohle des Ganzen verbessern können. Niemand kennt Ihre Aufgaben so gut wie Sie. Welche sind wirklich wichtig und welche können Sie getrost vernachlässigen?
7. Interpretationsspielraum nutzen. Anweisungen, Vorschriften und Vorgaben sind in aller Regel so schwammig formuliert, dass Sie selbst darüber bestimmen können, welchen Teilen Sie den Vorzug geben oder wie Sie die Bestimmungen auslegen.
8. Neue Aufgaben und Projekte zeitlich genau kalkulieren, bevor Sie zusagen. Fragen Sie Ihre Führungskraft, welche Aufgaben Sie im Austausch für neue Arbeitsbereiche weglassen sollen.
[Tweet “”Vorschriften sind dazu da herauszufinden, wie man trotzdem arbeiten kann.” Marie-Luise Conen”]
9. Akzeptieren, dass manche Regeln gar nicht eingehalten werden können und ein System trotzdem funktioniert. Manche Organisationen bleiben überhaupt nur funktionsfähig, weil nicht alle Regeln befolgt werden – zum Beispiel in der Altenpflege. Angesichts der Personal-Knappheit und der überbordenden Bürokratie dort können die Mitarbeiter nur noch das Nötigste erledigen, damit die Hauptaufgabe – die Versorgung der Patienten – halbwegs gewährleistet ist.
10. Fragen stellen: Mitarbeitergespräche, Team-Meetings, Betriebsversammlungen und dergleichen sind der Ort, an dem Sie Freiräume und Grenzen austesten können. Wer fragt, der führt!
Beispiele für sinnvolle Fragen:
- Wie soll ich mich Kunden gegenüber verhalten, die diese Veränderung nicht möchten?
- Wann möchtest Du eine Rückmeldung dazu haben, was wir bei der Umsetzung erfahren haben?
- Wann können wir diskutieren, wie sich diese Entscheidung auf unseren Bereich auswirkt?
- Was genau sind die Indikatoren, mit denen wir das auswerten?
- Wie möchtest Du, dass ich das künftig mache?
- Welche Ideen haben Sie dazu, wie ich unsere Kunden motivieren kann, sich auf dieses Vorgehen einzulassen?
- Wie oft und wann bekomme ich dazu ein Feedback?
11. Wenn das Alles gar nichts hilft: Nehmen Sie alle Vorgaben und Anweisungen Ihres Vorgesetzten wörtlich. Ja, alle. Sorgen Sie dafür, dass Sie sämtliche Vorschriften penibel einhalten. Binnen Stunden werden Sie feststellen, dass der Aufwand für Sie so sehr ansteigt, dass Sie nicht mehr handlungsfähig sind. Fragen Sie Ihren Chef dann, was Sie jetzt tun sollen. Sie glauben nicht, wie viele superdringende Projekte und Aufgaben dann plötzlich nicht mehr relevant sind 😉
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Petra-Alexandra Buhl
Kann ich so unterschreiben – es gibt oft so viel mehr Spielräume, als es auf den ersten Blick scheint.
Ich hab das bei meinem letzten Arbeitgeber so gemacht. Der hat mir nun gekündigt. Wir treffen uns nun vor dem Arbeitsgericht. Er hat sich von mir vorgeführt gefühlt.
Hallo Herr Richter,
im Detail kann ich dazu nichts sagen, weil ich nicht weiß, wie es bei Ihnen gelaufen ist. Ich halte es aber für wichtig, dass Arbeitnehmer Grenzen ziehen und diese auch verhandeln. In aller Regel findet sich ein Weg, der für beide Seiten akzeptabel ist.
Ich wünsche Ihnen viel Glück und viel Erfolg bei Ihrer arbeitsrechtlichen Auseinandersetzung und grüße herzlich!
Petra-Alexandra Buhl